„Die Rückzahlung der Corona-Soforthilfe bedroht unsere wirtschaftliche Existenz!“ Mit dieser Warnung hat sich der Vorstand der Friseur-Innung an die Landtagsabgeordneten Jochen Klenner und Vanessa Odermatt gewandt.

Die Lösungen kommen im Dialog: Die Landtagsabgeordneten Jochen Klenner und Vanessa Odermatt im Gespräch mit den Friseurmeisterinnen Sabine Capan (Obermeisterin der Friseur-Innung MG, außen rechts), Doris Arndt (2. v. l.) und Carmen Ajo (stv. Obermeisterin, außen links) – Foto: Isabella Raupold

Am 30. November endet die Rückzahlungsfrist für Beträge aus der NRW-Soforthilfe 2020, für die die Bewilligungsvoraussetzungen nicht erfüllt worden sind. Die Forderung reicht in einzelnen Fällen bis zur vollen Summe der 9.000 Euro, die im ersten Halbjahr 2020 an Solo-Selbstständige und Betriebe mit bis zu fünf Mitarbeitenden ausgezahlt wurden, in vielen Fällen umfasst sie mehrere Tausend Euro. „Damit stehen einige unserer Mitgliedsunternehmen zum Jahresende vor dem wirtschaftlichen Aus“, macht Sabine Capan den Ernst der Lage deutlich. Sie ist Obermeisterin der Friseur-Innung Mönchengladbach und hat sich mit ihren Kolleginnen, den Friseurmeisterinnen Carmen Ajo und Doris Arndt, nun direkt mit einem Appell für Fairness an die Landtagsabgeordneten Jochen Klenner und Vanessa Odermatt gewandt.

Von der einfachen Soforthilfe zum komplizierten Darlehen

Das Friseur-Handwerk wurde bereits im ersten Lockdown durch ein komplettes Berufsverbot besonders hart von den staatlich verordneten Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie getroffen. Die NRW-Soforthilfe 2020 erschien vielen Friseurmeisterinnen und -meistern da als Rettungsanker – eine staatliche Hilfe zur Existenzsicherung. An welche Bedingungen diese Wirtschaftshilfe geknüpft war, wurde den meisten jedoch erst während des Rückmeldeverfahrens in den darauffolgenden Monaten und den daraus resultierenden Schlussbescheiden für die Rückzahlung „im Umfang der Überkompensation“ bewusst. Offene Fragen der Rückzahlungsbedingungen zwischen Bund und Ländern, rückwirkend erlassene geänderte Richtlinien oder auch das im Nachhinein vom „Umsatzausfall“ hin zum „Liquiditätsengpass“ umformulierte Ziel der Soforthilfe haben zu vielen Klagen, großer Verunsicherung und nun auch neuer existenzieller Not geführt.

Friseur-Handwerk MG: „Unser Einsatz verdient Fairness!“

„Während der Pandemie haben wir jeden Tag um unsere Existenz gekämpft, unzählige Überstunden gemacht und extrem viel investiert, um den Auflagen gerecht zu werden“, sagt Sabine Capan. „Ohne Hilfe, auch die finanzielle Hilfe von der Familie, hätte es bei einigen von uns nicht gereicht. So viele Haare können wir gar nicht schneiden, um die Umsatzeinbußen aus den Lockdowns und darüber hinaus wieder wettzumachen.“ Für diesen Einsatz fordert das Friseur-Handwerk nun Fairness bei der Rückzahlung der NRW-Soforthilfe 2020. „Unsere Lage ist auch heute noch extrem angespannt: Die Betriebskosten sind hoch, die Kundschaft kommt seltener und Nachwuchskräften ist die Situation nicht sicher genug.“

Die Landtagsabgeordneten Vanessa Odermatt und Jochen Klenner zeigten beim Gesprächstermin Mitte August im Haus des Handwerks Aufmerksamkeit und Anteilnahme für die schwierige Lage: „Wir sind der Mönchengladbacher Friseur-Innung dankbar, dass sie auf die besondere Betroffenheit der Mitgliedsbetriebe aufmerksam macht. Schon während der Pandemie und den verschiedenen Öffnungs- und Schließungsphasen war der gute Dialog und Austausch zwischen uns sehr wichtig und hat uns wichtige Anregungen aus der Praxis für die Entscheidungen im Landtag gegeben. Bei den Corona-Hilfen gibt es viele rechtliche Zwänge – aber wir werden auf die schwierige Situation der Branche hinweisen, die ja keine ‚Nachholeffekte‘ nach Corona hatte und ebenfalls von steigenden Energiekosten und Preisen betroffen ist.“

Die rechtliche Situation auf Landesebene

Während die Bayerische Staatsregierung mittlerweile entschieden hat, Betrieben die Corona-Soforthilfe zu erlassen, wenn eine Rückzahlung deren wirtschaftliche Existenz bedroht, gilt in Nordrhein-Westfalen derzeit lediglich ein Fristaufschub bis zum 30. November 2023. Die Landesregierung fordert bis zu diesem Stichtag aus der Gesamtsumme der NRW-Soforthilfe 2020 die Beträge zurück, für die die Bewilligungsvoraussetzungen nicht erfüllt sind. In der Pressemitteilung vom 14. März 2023 heißt es weiter: „Gegenstand des Kabinettsbeschlusses ist auch, dass alle Schlussbescheide, die bestandskräftig geworden sind – gegen die also nicht fristgerecht Klage erhoben wurde – aufrechterhalten werden.“

Drei Tage später, am 17. März 2023, erklärte das Oberverwaltungsgericht Münster im Zuge einer vom Land NRW angestrengten Berufung die Schlussbescheide der NRW-Soforthilfe 2020 in allen drei zur Verhandlung stehenden Fällen für rechtswidrig. Daraus leitet die Interessengemeinschaft „IG-NRW-Soforthilfe.de“ die Hoffnung ab, dass das Land NRW die Entscheidungen und Hinweise des OVG Münster in einem neuen Verfahren zum Nachweis der zweckentsprechenden Mittelverwendung umsetzen wird. Außerdem verfolgt sie die „Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes“ gemäß Paragraf 48 Absatz 1 Satz 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes.

Die Lösung liegt im Dialog von Politik und Handwerk

Der Friseur- und Kosmetikverband NRW ist auf Initiative seines neuen Geschäftsführers Thorsten Seidel im Mai 2023 eine Kooperation mit der IG NRW Soforthilfe eingegangen. Er stellt mit 3.200 Mitgliedsbetrieben, die in 41 Innungen organisiert sind, den größten Landesinnungsverband des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks. Seit Beginn der Debatte über die Corona-Soforthilfe setzt er sich beim Land NRW für faire Rückzahlungsbedingungen der Innungsbetriebe ein.

Ein Umstand, den das OVG Münster zu seiner Entscheidung gelangen ließ, die verhandelten Schlussbescheide seien rechtwidrig, lag in deren automatisiertem Verfahren: Die Soforthilfeempfänger konnten lediglich nach den engen Vorgaben des Rückmeldeverfahrens ihre Einnahmen und Ausgaben angeben. Es gab keinerlei Möglichkeit, auf besondere Umstände hinzuweisen oder Gehör von einem Mitarbeitenden der bescheiderlassenen Behörde zu erlangen.

Dass sich Lösungswege besser im offenen Dialog von Politik und Handwerk finden lassen, zeigt nicht zuletzt das Beispiel aus Bayern. Landesinnungsmeister Christian Kaiser kommentierte das Ergebnis dort mit den Worten: „Wir haben gemeinsam gekämpft und gemeinsam viel für das bayerische Friseur- und Kosmetiker-Handwerk erreicht. Die Staatsregierung schöpft im Rückmeldeverfahren zur Corona-Soforthilfe ihre rechtlichen Spielräume aus.“